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Im Juni habe ich seit langem wieder einen Monatsrückblick geschrieben. Es gefällt mir, mich dadurch besser an das erinnern zu können, was ich erlebt und getan habe. Auf dem Blog teile ich vieles von dem, was im jeweiligen Monat war, aber lange nicht alles – ein paar Dinge bleiben privat.

Deshalb kam mir die Idee, mir nun jeden Monat selbst einen Brief zu schreiben, den ich genau ein Jahr später öffnen werde – den ersten dieser Monatsbriefe also im Juni 2026.

Das hatte ich früher schon ab und an gemacht, aber nie so regelmäßig und eher anlassbezogen. Im Rahmen eins Uniprojekts, im Geburtsvorbereitungskurs oder an Silvester. Ich mochte die Überraschung, wenn der Brief mich nach Monaten oder auch einem Jahr erreichte. Mir hat das Lesen immer sehr viel Freude gemacht.

Briefe als monatliche Reflexion

Für manch Außenstehenden mag es seltsam klingen, wenn ich erzähle, dass ich mir selbst einen Brief schreibe. Dabei ist es eine unglaublich schöne Sache!

Mit diesen Briefen nehme ich mir ganz bewusst Zeit, meinen Monat zu reflektieren. Und ja, das klingt furchtbar anstrengend – zumindest in meinen Ohren. Viereinhalb Wochen sind eine ganz schön lange Zeit. Und manchmal weiß ich gar nicht mehr, was alles los war.

Ganz ehrlich: Mir fällt es unheimlich schwer bewusst eine Reflexion zu schreiben. Tagesreflexion, Wochenreflexion, Monatsreflexion, Reflexion des 3. Quartals oder des 1. Halbjahres … Es kostet sehr viel Energie sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und zu schauen, was alles wie gelaufen ist in einem bestimmten Zeitabschnitt.

Gerade, wenn du erst damit anfängst und dich manche Themen emotional sehr berühren.

Es ist leichter, solche Dinge einfach abzuhaken. Nach dem Motto „vorbei ist vorbei“. Nur … meist sind sie nicht wirklich vorbei, sondern wirken nach.

Bei einer Reflexion geht es deshalb nicht einfach nur darum alles noch mal zu durchleben, sondern zu schauen, warum bestimmte Dinge so gewesen sind. Und vor allem, was ich daraus lernen kann, um beim nächsten Mal anders zu reagieren.

Das wird sicherlich nicht beim ersten Mal gelingen, aber wenn ich mir bestimmte Dinge immer wieder bewusst mache, kann ich sie in Minischritten verändern.

Warum ich mir selbst schreibe

Die Frage, warum ich mich selbst liebevoll dazu zwinge, mir jeden Monat einen Brief zu schreiben, beantwortet sich damit fast von selbst.

Ja, es fällt mir unglaublich schwer, mich hinzusetzen und zu reflektieren. In Gedanken mache ich das ständig, aber Gedanken sind flüchtig. All diese Dinge aufzuschreiben, hat einen ganz anderen Stellenwert.

Ich weiß, wie machtvoll das geschriebene Wort ist. Und ich mag es, wie frei sich mein Kopf danach anfühlt.

Auch wenn meine Reflektionen oft zäh anfangen, fällt es mir doch erstaunlich leicht, wenn ich erstmal mit dem Schreiben beginne. Ein Gedanke folgt dem nächsten. Entscheidend ist, dass ich den Anspruch auf Vollständigkeit oder auch den Wunsch alles richtig machen zu wollen, loslasse.

Genauso den Perfektionismus.

Diese Briefe sind Momentaufnahmen. So als hätte jemand am 30. Juni die Stopptaste gedrückt und alles bis dahin Gewesene eingefroren. Es steht das im Brief geschrieben, was ich zu diesem Zeitpunkt dachte, fühlte und erlebt hatte. Ehrlich und unveränderbar.

(Und ja ich weiß, ich könnte den Brief einfach wegwerfen, zerreißen oder gar verbrennen, aber darum geht es hier nicht.)

Ich mag die Vorstellung, dass mein zukünftiges Ich mich kennenlernt, wie ich jetzt gerade bin. Auch wenn mir das gleichermaßen Angst macht.

Die Traurigkeit der Einbahnstraße

Als ich den Brief im Juni beendet hatte, wurde mir etwas bewusst, dass vielleicht absurd klingt, mich aber ziemlich traurig gemacht hat: Mein früheres Ich wird nie erfahren, wie es ein Jahr später aussieht!

Ich kann ihm nicht antworten. Nicht sagen, welche Wege ich gegangen bin oder welche Antworten ich gefunden habe.

Ich kann ihm nicht die Erleichterung schenken, dass sich manche Angst verflüchtigt hat. Nicht die Freude teilen über das, was gelungen ist. Nicht erklären, warum ich bestimmte Entscheidungen getroffen habe. Dieses Ich bleibt in seiner Zeit stehen, gefangen in seiner Gegenwart, mit all seinen Fragen, Zweifeln, Hoffnungen und Träumen.

Warum mich das in diesem Moment so unglaublich traurig gemacht hat, kann ich gar nicht genau sagen. Im Grunde bin das alles ich und trotzdem tat es mir in dem Moment unglaublich leid.

Es ist eine Einbahnstraße. Ich kann den Brief meines früheren Ichs zwar lesen, aber es nicht mehr erreichen. Der Mensch, der ich war, bleibt zurück – auch wenn ich ihm gern gesagt hätte “ Das hast du gut gemacht“ oder „Du warst stärker, als du dachtest.“

Andererseits kann ich mit dem zeitlichen Abstand vielleicht auch verstehen, warum ich bestimmte Dinge in der Vergangenheit so gemacht und gedacht habe, wie ich es getan habe.

Letztlich zeigt es auch, dass ich mich weiterentwickle, dass ich meinen Weg gehe und lerne. Eigentlich ist auch das eine ziemlich schöne Vorstellung.

Und während ich meine Worte auf das Bienchenbriefpapier hab‘ fließen lassen, wurde mir bewusst, dass es ziemlich viel Mut braucht, um meinem zukünftigen Ich zu schreiben und dabei keine geschönte Version der Vergangenheit zu präsentieren.

Mein kleiner Zeitkapselmoment

Als der Brief fertig war, hatte ich das Bedürfnis meinem zukünftigen Ich noch mehr mitzugeben. Etwas, das ihm die Möglichkeit gibt, sich an mich heute zu erinnern.

Ich hab’ den Brief also nicht nur in einen Umschlag gepackt, sondern mir tatsächlich kleine Buchkartons bestellt, die ich mit vielen verschiedenen Dingen fülle:

  • mein Brief (das Herzstück der Monatsbox)
  • Ausdrucke meiner veröffentlichten Blogartikel (wer weiß, ob der Blog in einem Jahr noch existiert, so kann ich sie immer wieder lesen)
  • mein ganz privater Monatsrückblick (auch ein Blogartikel, aber ergänzt, um den ein oder anderen ganz privaten Moment)
  • Fotos (wenigstens eins, dessen Motiv mir in diesem Monat besonders viel bedeutet hat)

Falls es sich ergibt packe ich auch noch kleinere Erinnerungsstücke mit rein – eine Notiz von unserem Sohn, Eintrittskarten, Notenblätter … Alles, was in die Kiste passt und mir in dem Moment wichtig ist.

Es hat zwar damit angefangen, dass ich mir für den Juni einen Brief schreiben wollte. Am Ende ist es aber eine kleine Zeitkapsel geworden, eine Minischatztruhe für mein zukünftiges Ich.

Ich freu mich unglaublich darauf, diese kleine Kiste im Juni 2026 öffnen zu dürfen.

Und genauso freue ich mich darauf, den Brief für Juli 2025 zu schreiben.
Wenn du mitschreiben möchtest oder selbst schon solche Briefe an dich selbst geschrieben hast, kommentiere gerne. Je mehr Menschen, ihre Mini-Zeitkapsel packen, desto besser! 🥰