
Heute ist die Sommersonnenwende! Klingt irgendwie schön. Und ein bisschen magisch. Nicht so magisch wie Wintersonnenwende, aber trotzdem.
Am 21. Juni ist der längste Tag des Jahres – und die kürzeste Nacht. Zumindest auf der Nordhalbkugel.
Dieser Tag wird seit Jahrhunderten auf verschiedene Weise gefeiert. Als Fest des Lichts, des Wachstums und der Fülle. In heidnischen Traditionen wie dem keltischen Litha-Fest wurde die Sonne geehrt, im skandinavischen Midsommar feiern Menschen ausgelassen die Helligkeit. Aber auch in anderen Kulturen wie der der Maya oder Inka wurden zur Sonnenwende Zeremonien abgehalten, um sich mit der göttlichen Ordnung zu verbinden.
Die Sommersonnenwende stellt in vielen Kulturen einen Wendepunkt dar. Spirituell betrachtet ist dieser Tag oft mit Dankbarkeit und Übergang verbunden: ein Innehalten, bevor das Licht langsam wieder abnimmt.
Viele Menschen erleben die Sonnenwende als besonderen Tag ganz bewusst, um einmal Pause zu machen, zurückzuschauen und sich neu auszurichten. Wie um ihren inneren Kompass neu zu justieren.
Doch genau da beginnt für mich das Dilemma.
Ein besonderer Tag im Alltäglichen
Anfang Juni kamen die monatlichen Journey Pages * von Maria Veit in mein Postfach geflattert. Dieses Mal mit dem Thema „Klarheit zur Jahresmitte – Wo du stehst und wohin du willst“. *
Maria greift die Sommersonnenwende als Wendepunkt auf, der für sie jedoch „kein Anlass zur Melancholie, sondern eine Einladung zur bewussten Rückschau“ ist.
Der Gedanke zur Jahresmitte ein erstes Resümee des aktuellen Jahres zu ziehen und nicht erst Ende Dezember hat mir gut gefallen.
Doch dann kam der Alltag, die vielen ToDos, der Stress … und irgendwie verpuffte die anfängliche Freude über diesen besonderen Tag langsam, aber stetig.
Was blieb war das starke Gefühl, dass dieser Tag etwas ganz besonderes sein sollte. Ein Tag, den ich mit etwas ebenso besonderem zelebrieren müsste. An dem alles, was ich tue mindestens zehn Mal so toll und hundert Mal so viel wert ist wie an „normalen“ Tagen.
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Der Drang etwas Bedeutendes zu tun
Je näher solche besonderen Tage wie Silvester, mein Geburtstag oder eben die Sommersonnenwende rücken, desto stärker spüre ich den inneren Drang, noch etwas zu tun. Etwas Bedeutendes. Etwas, das ich nur (noch) jetzt tun kann.
So als würde sich sonst eine unsichtbare Tür schließen und alles, was bis dahin nicht getan oder ausgesprochen ist, bleibt für immer verloren.
Objektiv betrachtet natürlich totaler Unsinn. Trotzdem scheint es so, als würde an solchen Tagen eine imaginäre Linie durch mein Leben gezogen, die ein „Davor“ und ein „Danach“ markiert. Und ich will unbedingt, dass das Davor noch irgendwie richtig wird, damit das Danach besser beginnt.
Ich erinnere mich wie ich ganz besonders am Abend vor meinem Geburtstag fieberhaft versuche herauszufinden, was genau ich noch in diesem aktuellen Lebensjahr tun sollte. So als gäbe es eine geheime Liste mit Dingen, die ich in einem bestimmten Alter definitiv abgehakt haben muss. Diese Unruhe macht mich jedes Mal aufs Neue unglaublich nervös.
Vielleicht lässt es sich als Mischung aus Wehmut und Erwartung beschreiben, die sich schwer benennen lässt, aber stark wirkt.
Woher kommt das Gefühl, etwas Unvergessliches schaffen zu wollen?
Das gleiche Gefühl hatte ich dieses Jahr zur Sommersonnenwende.
Und ich frage mich, woher dieses Bedürfnis kommt, an bestimmten Tagen etwas Großes und Bedeutendes zu schaffen, das möglicherweise sogar unvergessen bleibt.
Wahrscheinlich ist es nicht einfach bloß eine Laune, sondern sitzt tiefer, als es uns im Alltag bewusst ist:
- Zum einen ist da diese diffuse Ahnung von Vergänglichkeit. Die Zeit vergeht, egal ob wir mit ihr Schritt halten oder nicht. Und an Tagen wie der Sommersonnenwende oder Silvester wird uns das besonders deutlich: Da ist plötzlich dieser eine Moment, der sich wie ein Fixpunkt im Kalender anfühlt. Ein Punkt, von dem aus du zurückblicken sollst, von dem aus du vorausschauen darfst. Und irgendwie scheint dieser Moment sich selbst aufzublasen und uns herauszufordern: „Mach was draus. Du wirst dich erinnern müssen. Also gib mir Bedeutung.“
- Vielleicht ist es auch ein Wunsch nach Sichtbarkeit, der dabei spürbar wird, selbst wenn du ihn nicht laut aussprichst. Etwas tun, das bleibt. Das du später erzählen kannst. Das sich einprägt. Vielleicht sogar etwas, das du aufschreiben, teilen und dadurch erinnern kannst. Etwas, das dem inneren Gefühl entgegenwirkt, einfach nur unauffällig und vergänglich durch den Tag zu treiben.
- Dann gibt es noch das kindliche Staunen. Dieses Gefühl, dass gewisse Tage magisch sind. Früher waren Geburtstage ein Highlight, das mit Kuchen, Kerzen und schimmernden Erwartungen kam. Oder Weihnachten. Oder der letzte Schultag. Vielleicht tragen wir diese Prägung noch immer in uns. Nur dass die Erwachsenenwelt keine Zuckertüten mehr verteilt. Wir selbst sind es, die für das Funkeln zuständig sind.
So entsteht dieser seltsame Druck, dass der Tag nicht einfach nur verstreichen darf. Dass wir etwas schaffen müssen, das „es wert war“.
Das Problem mit der „Magie auf Knopfdruck“
Ein einzelner Tag kann zweifelsohne schicksalhaft sein und doch markiert er nicht automatisch einen Wendepunkt, nur weil die Menschen ihm eine besondere Bedeutung zuschreiben. Ich kann jeden Morgen neu beginnen. Das Leben wartet nicht auf besondere Rituale, sondern findet im Moment statt.
Trotzdem haben diese Schwellentage Macht – weil wir sie ihnen geben. Und weil sie uns daran erinnern, dass Zeit vergeht. Dass etwas endet. Und dass wir manchmal das Gefühl haben, mitgehen zu müssen – oder den Anschluss zu verlieren.
Es baut einen enormen Druck auf, wenn du einen Tag besonders machen möchtest, nur weil du glaubst, er verlangt das von dir. Wenn du die „Magie auf Knopfdruck“ erzwingen möchtest, vergisst du, dass echte Magie meist leise kommt – und selten auf Befehl.
Unvergessliches entsteht nicht auf Knopfdruck – und vor allem nicht unter Zwang und meist auch nicht geplant. Irgendwann hab ich mal etwas gelesen, das mir bis heute zu denken gibt:
Eltern planen die Geburtstagsfeier ihres Kindes mit einer riesigen Party und unglaublich vielen Gästen, mit Hüpfburg, Zuckerwatte und großer Torte, einem Clown, Planschbecken und was dir sonst noch alles an tollen Dingen einfällt. Alle hatten Spaß, haben viel geredet, gelacht, gespielt … am Abend sind alle glücklich und zufrieden nach Hause gegangen.
Als die Eltern ihr Kind am nächsten Tag fragen, was ihm an seinem Geburtstag am Besten gefallen hat, erwarten sie, dass es eines dieser tollen Dinge war, die sie für den Geburtstag organisiert hatten – schließlich war das alles, was ein Kinderherz höher schlagen lässt. Doch das Kind sagt nur „Dass Opa mir am Abend noch eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt hat.“
Der leise Wert eines völlig normalen Tages
Du kannst besondere Dinge planen, aber nicht ihre Bedeutung für dein zukünftiges Ich. Du kannst Unvergessliches weder herbei leben, noch herbei schreiben oder gar herbei denken. Das einzige, dass du tun kannst, ist ohne Erwartungen im Moment anwesend zu sein.
Und manchmal bleibt eine Erinnerung – vielleicht nur ein Gefühl oder ein einzelner Satz. Aber nicht, weil es geplant war, sondern weil es echt war und geschieht wie ein einzelner Atemzug.
Es ist leicht, einem Jahreswechsel eine Bedeutung zu geben. Es ist leicht, sich für das „große Bild“ zu begeistern, für Wendepunkte, Schwellen und Rituale. Doch es ist viel schwerer, einem Dienstag Bedeutung zu schenken. Oder einem verregneten Nachmittag, an dem alles still steht. Vielleicht sind aber genau das die Momente, in denen wir beginnen zu verstehen, was uns wirklich trägt.
Die Sommersonnenwende ist ein Tag wie jeder andere. Und gleichzeitig ist jeder andere Tag wie die Sommersonnenwende – wenn du ihn betrachtest, als würde er zählen. Und wenn du den Mut hast, das Leben auch in seiner kleinen Form zu würdigen. Nicht nur, wenn es glänzt. Sondern vor allem dann, wenn es einfach nur da ist.
Ich lerne langsam, diese Übergänge sanfter zu sehen. Es ist okay, wenn nichts Spektakuläres passiert. Und es ist okay, wenn der Tag verstreicht, ohne dass ich mein Leben neu sortiert habe.
Du solltest nicht auf einen besonderen Tag warten, um anzufangen – oder aufzuhören. Sondern mitten im Dazwischen einfach leben.
Liebe Marina,
was für ein bewegender Blogartikel.
Eine Stelle hat mich besonders berührt: „Die Sommersonnenwende ist ein Tag wie jeder andere. Und gleichzeitig ist jeder andere Tag wie die Sommersonnenwende – wenn du ihn betrachtest, als würde er zählen.“
Jeden Tag als etwas Besonderes betrachten – ohne ihm krampfhaft eine besondere Bedeutung geben zu wollen – genau das ist es, was auch aus meiner Sicht für Gelassenheit und Bewusstsein sorgt.
Vielen Dank, dass du uns an deinen Gedanken teilhaben lässt!
Herzliche Grüße
Maria
Liebe Maria,
vielen herzlichen Dank für deine lieben Worte! Es freut mich sehr, dass dich meine Gedanken erreicht haben 💛
Ich mag deine Worte auch sehr! … „Jeden Tag als etwas Besonderes betrachten – ohne ihm krampfhaft eine besondere Bedeutung geben zu wollen […]“ … ganz genau das!
Es ist zwar nicht immer leicht, aber es immer wieder aufs Neue zu versuchen und nicht aufzugeben, ist das was zählt. Und irgendwann ist plötzlich mitten im Herbst „Sommersonnenwende“ 😉
Liebe Grüße
Marina