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Musik nimmt in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle ein – schon immer. Sie transportiert so viel Gefühl und sagt vieles, was ich nicht sagen kann. Sie passt sich meiner Stimmung an, trägt mich, wenn ich traurig bin, und feiert mit mir, wenn die Freude in mir übersprudelt.

Seit jeher habe ich gesungen, nicht nur unter der Dusche, sondern überall im Haus und lange Zeit auch in verschiedenen Chören. Zwischendurch – und jetzt wieder – hatte ich Gesangsunterricht. Ich habe Klavier, Blockflöte, Saxophon und Gitarre gespielt – nicht alles gut, aber mit umso mehr Spaß!

Je nachdem, was bei mir gerade los war, habe ich einzelne Lieder rauf und runter gehört. Und wenn ich plötzlich nicht mehr trällernd durchs Haus gehüpft bin, wusste meine Mama sofort, dass es mir nich gut geht.

Musik ist mir also nicht nur wichtig – sie ist ein Teil von mir!

Ein immer zweifelnder Generalist

Ende 2023 habe ich viel über Experten und Generalisten, über Scanner und Multitalente und über alles dazwischen nachgedacht.  

Eines Wintertags bin ich durch die dunklen Straßen zur Chorprobe gegangen – mit Musik auf den Ohren. Plötzlich traf mich die Erkenntnis, dass ich vermutlich niemals Experte auf irgendeinem Gebiet sein werde, sondern immer nur Generalist bleibe.

Das ist erstmal nichts schlechtes, gerade heute sind Generalisten gefragter denn je. Das große Ganze sehen, völlig absurd erscheinende Verknüpfungen erkennen, alles in ein neues Licht rücken, visionär denken und all das – super! Aber an diesem Abend hat mich das unglaublich traurig gemacht.

Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich zwar immer unter der Dusche singen kann, aber niemals wirklich gut sein würde. Zumindest nicht so, wie es mein perfektionistisches Hirn erwartet. 

Sein Komplize, der innere Kritiker, dieser miese kleine Saboteur, hat sich dann auch noch lautstark eingemischt. Ich weiß, er will nur helfen und beschützen. Lieber nie etwas ausprobieren, könnte ja schief gehen und dann wird’s schlimm. Was er aber vergisst: Könnte auch gut werden!

Extrem laut war dieser Kerl nach unserer Chorfreizeit 2024.

Wir haben zusammen geprobt und abends gefeirt, hatten Spaß, haben gesungen und gegrölt. Auf den Videos, die einige davon gedreht hatten, hörte sich das alles wirklich gruselig an … Ich kann Monsieur Kritiker hier also nicht mal böse sein.

Die Videos haben mich auf jeden Fall ins Grübeln gebracht … und dann ist meine Tante gestorben.

Meine Liebe zur Musik

Man muss dazu sagen – ohne die ganze Geschichte zu erzählen – dass wir immer ein sehr enges Verhältnis hatten. Und sie hat die Musik geliebt. Sie war Chorleiterin und hatte auch selbst Auftritte. Ich habe lange Jahre in einem ihrer 7 Chöre … naja in diesem Fall wohl eher Kammerchor oder vermutlich sogar Vokalensemble … gesungen.

Sie hat so lange an der Musik festgehalten wie es ihr möglich war. Als sie nicht mehr selbst Auto fahren konnte, wurde sie von Chormitgliedern abgeholt, um zur Probe kommen zu können. Irgendwann war leider auch das nicht mehr möglich.

Als meine Oma 2021 gestorben ist, habe ich an unseren Pfarrer geschrieben „Einen Teil ihres Wegs durfte ich sie begleiten und dafür bin ich dankbar. An ihrer Hand habe ich meine ersten Schritte gemacht, von ihr habe ich die Liebe zur Musik und für das Leben. Ohne meine geliebte Oma wäre ich vielleicht kein schlechterer, definitiv aber ein ganz anderer Mensch.“

Ja, die Liebe zur Musik habe ich definitiv von meiner Oma. Doch meine Tante hat sie über all die Jahre genährt.

Das Wichtigste ruht verschlossen in einer Kiste

Im April 2024 stand ich bei der Beerdigung meiner Tante im Ruhewald. Die Trauerrede war begleitet von Momenten der Stille, in denen Musik zwischen den Bäumen erklang. Natürlich kullerten Tränen und die Gedanken wanderten. Da wurde mir bewusst, dass meine Tante eigentlich immer an mich geglaubt hat. Bei allem. Aber vor allem bei der Musik. Und plötzlich ist sie einfach nicht mehr da … 

Nicht nur musikalisch gesehen fühlt sich das Leben sehr viel einsamer an!

Aber nicht erst seit dem Tod meiner Tante hab ich das Gefühl, das etwas fehlt. 

Manchmal scheint es, als hätte ich vor gut 18 Jahren aus einem heute völlig banal erscheinenden Grund alles was mir wichtig war und ich beschützen wollte in eine schwere Kiste gepackt – und diese mehrfach verschlossen in die hinterste Ecke meines Bewusstseins geschoben. Darin auch die Musik.

Im Laufe der Jahre hatte ich die Kiste fast vergessen und finde auch die Schlüssel nicht mehr. So stolpere ich all die Zeit durchaus glücklich, aber eben unvollständig durchs Leben.

Aber sie fehlt mir … meine Oma, meine Tante und die Musik.

Langsam fühle ich die Musik wieder

Im Chor war ich schon seit Ende 2022 wieder – das war ein Anfang. Seit Mitte 2024 habe ich auch regelmäßig Gesangsstunden. Das tut gut und gibt mir Sicherheit. Langsam merke ich, dass sich Dinge verändern, das ich besser werde und gelöster.

Ehrgeiz und Perfektion schieben sich noch oft dazwischen, aber auch das wird besser. Und so langsam spüre ich sie wieder, die Musik.

Nicht falsch verstehen: Ich habe nie aufgehört Musik zu hören und sie passte sich nach wie vor meiner Stimmung an, aber es war anders. Langsam höre ich wieder richtig zu und fühle die Musik.

Es sind die kleinen Momente – ein einzelner Satz oder eine kurze Melodie -, die ein ganzes Feuerwerk in mir zum Strahlen bringen.

3 Songs, die mich aktuell sehr berühren

In meiner Musikapp gibt es eine Playlist mit dem Titel „Gesammelte Songs“. Die gibt’s schon sehr lange. Immer wenn mir ein Lied begegnet, ganz egal wo, das mir gefällt oder mir etwas bedeutet, kommt es auf diese Liste.

Es ist sehr spannend, sich da durchzuscrollen, denn meistens – nicht immer – erinnere ich mich genau an den Moment, an dem ich das Lied zur Liste hinzugefügt habe. Es ist also wie eine musikalische Reise durch mein Leben 💛

Drei Songs, die mir in den letzten Wochen begegnet sind und auf meiner Liste gelandet sind, möchte ich dir gerne zeigen.

„Unsicher“ von Nina Chuba

Mitte Mai gab es bei uns im Ort zwei Konfirmationen, die wir mit unserem Chor musikalisch begleitet haben. Das ist immer eine schöne Sache.

Während des Gottesdienstes ließ unsere Pastorin das Lied „Unsicher“ von Nina Chuba laufen. Es gefiel mir zuerst überhaupt nicht. Aber dann kam der Refrain …

„Ich stolper‘ durch die große, weite Welt,
ich bin so unsicher
Ich bin noch nicht so gut dadrin,
ich leb‘ grade zum ersten Mal“

(„Unsicher“ von Nina Chuba)

… und meine Tränen.

Ich war einfach so gerührt, mit welcher Intensität der Text deutlich macht, wie verloren sich die Jugendlichen heutzutage fühlen müssen:

  • dass ihnen oft ein Anker fehlt, der sie erdet
  • dass sie mit ihren Fehlern hadern und auf der Suche nach dem „Richtig“ sind
  • dass sie sich unvollkommen (und teils auch unverstanden) fühlen, in einer Welt, die so viel fordert
  • dass sie sich selbst wenig zutrauen, weil es auch niemand anders tut
  • dass sie versuchen zu fliegen, obwohl sie Angst haben abzustürzen
  • dass ein Zuhause als sicherer Hafen so wichtig ist, auch wenn sie es nicht zugeben würden

Ich war absolut ergriffen von dem Song.

Und ja, es mag sein, dass ich da mehr hineininterpretiere, als tatsächlich drin steckt. Oder die Aufzählung oben etwas tiefer geht, als es der Realität entspricht, aber in dem Moment, fühlte es sich für mich so an.

„Better is a one day“ von Matt Redmann and Trey McLaughlin

Irgendwann Anfang Juni kam unsere Chorleiterin mit einer neuen Einsingübung in Form eines kleinen Liedes an: „Better is a one day“.

Wir haben uns von jeder Stimme kurz die Melodie angehört, einmal einzeln geprobt und dann alle zusammen gesungen.

Ich war absolut geflasht!

Im Internet findet man die Version so leider nicht, deshalb kannst du das vielleicht nicht nachvollziehen. Aber es hat so unglaublich schön zusammen geklungen und es war eine ganz besondere Stimmung im Raum – das lässt sich schwer beschreiben.

Die Musik war in diesem einen Moment überall um mich herum und in mir drin. Das beeindruckendste war, dass mir während des Liedes meine verschlossene Kiste in den Kopf kam, mit vielen Ketten und Schlössern drumherum – und eines davon ist plötzlich aufgesprungen!

>> „Neurodivergenz – der Beginn einer Reise“

Der Text ist natürlich – passend zum Gospel – eher spiritueller oder geistlicher Natur:

„Better is a one day in your courts,
better is a one day in your house,
better is a one day in you courts,
than thousand elsewhere.“

(„Better is a day“ von Matt Redman und Trey McLauglin)

Und doch kann man es auch übertragen: Es ist besser, einen Tag ganz bewusst zu erleben, mit den Menschen oder auch Dingen, die dir wichtig sind, als tausende irgendwo zu verbringen, wo du eigentlich gar nicht sein möchtest.

>> „Warum mich die Sommersonnenwende unter Druck setzt“

In den Proben danach haben wir das Lied zwar gesungen, aber es hatte nie wieder diese Energie wie beim ersten Mal.

Deshalb nehm ich jetzt im Gesangsunterricht alle drei Stimmen auf und mische es selbst. Ich möchte den Song auf jeden Fall immer wieder hören können.

„Schmetterling“ von Sophia

Am Donnerstagabend war ich in einem Webinar, wo es auch eine geführte Reise zum Inneren Kind gab. Darauf war ich sehr neugierig. Allerdings hat das bei mir in dem Fall überhaupt nicht funktioniert und mich auch Null berührt. Eigentlich schade, aber es war okay.

Ganz geschickt haben sie nach der Inneren-Kind-Reise – die für viele tatsächlich hoch emotional war – ein Lied eingespielt. Es war ein schlauer Schachzug, denn das Lied passte unglaublich gut und hat sicherlich die Gefühle noch verstärkt – und dadurch die Menschen kaufbereiter gemacht. Ist grenzwertig, aber das ist eine andere Geschichte.

Auf jeden Fall hat dieses Lied auch mich absolut berührt, auch wenn es alles davor nicht getan an. Es war „Schmetterling“ von Sophia.

„Sei einfach du selbst in deinen schönsten Farben
du brauchst keine Zweifel, keine Angst zu haben
[…]
weil da immer jemand ist
bei dem du sein kannst, wer du bist“

„Schmetterling“ von Sophia

Die „schönsten Farben“ haben mich direkt an das bunte Zebra in Anne Heintzes Buch „Auf viele Arten anders“ * erinnert, in dem es um Scanner und vielbegabte Multitalente geht.

Wie schön ist es bitte, dass es mindestens eine Person gibt, bei der man neben allen Zweifeln und Ängsten einfach so sein kann wie man ist!?

Das hat mich deshalb so sehr berührt, weil ich genau diese Zweifel und Ängste unglaublich gut kenne – und dankbar dafür bin, dass ich mittlerweile genau die Menschen um mich habe, bei denen ich sein kann, wer ich bin!

>> „Neurodivergenz – der Beginn einer Reise“

„Schmetterlinge fliegen oft allein,
und ja, ich weiß, es ist nicht immer leicht für dich,
weil du nicht so wie die andern bist.
Doch glaub mir, Schmetterlinge fliegen oft allein,
doch da wird immer irgendjemand sein,

der dich mag, weil du anders bist.“

„Schmetterling“ von Sophia

Was auch immer Sophia tatsächlich mit dem Lied sagen wollte: Für mich passt es so gut.

Schmetterlinge sind so bunt und farbenfroh und machen einfach ihr Ding. Im Rahmen dessen, was erlaubt ist, sollte man das viel öfter auch tun. Vor allem mit dem Wissen, dass es immer jemanden gibt, der dich mag, nicht obwohl, sondern weil du anders bist.

Und warum auch immer … beim Hören dieses Songs hatte ich wieder meine Kiste mit den vielen Ketten und den Schlössern im Kopf. Und plötzlich war es so, als wären alle Ketten gesprengt und die Kiste würde sich öffnen – für einen kurzen Moment. Das war unglaublich schön!

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Der Artikel schlummerte schon lange in mir. Ein kleiner Schubs in der Blognacht von Anna Koschinski mit ihrem Impuls „Schön, dass es dich gibt“ hat mich endlich anfangen lassen, ihn zu schreiben.